Ein Schiff für die Meere

Zwei Holländer beschließen mit einem Schiff um die Welt zu segeln. Damit wollen sie die Meere retten.

„Dieses Schiff ist vermutlich illegal, alles was es macht ist illegal – und trotzdem kann es hier im Hafen anlegen“, zischt Edwin Butter, einen Zigarillo zwischen seinen Lippen steckend, während er durch ein Fernglas die Einfahrt eines großen Frachters in den Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria verfolgt. „Sie benutzen Long-Liner“, erklärt er, „kilometerlange Netze mit denen sie den Meeresboden leer fischen. Nach internationalem Recht ist das nicht mehr erlaubt, aber eine Menge großer Schiffe fahren einfach vor die Küste von Senegal, wo es keine Möglichkeiten gibt ihnen etwas anzuhaben und landen dann in den kanarischen Häfen. Widerlich.“

Der 50-Jährige bärtige Holländer ist das, was man einen Seebär nennt. Seit 30 Jahren ist er auf den Weltmeeren unterwegs, mit seinem dicken Wollpullover und dem ständigen Zigarillo im Mund ein echtes Original. Doch der Ozean ist für ihn nicht nur ein Freizeitvergnügen, es ist seine Passion. Seit knapp anderthalb Jahren kämpft er deshalb mit seiner Freundin Marjo, 50, als mini-Organisation für den Schutz der Meere. Ocean Conservation – Bringing Awareness into Action flattert als Banner an den Seiten seines Bootes RV Orion of Aberdeen. Der Name ist Programm, es geht um nichts weniger als die Rettung der Meere. „Ich kann die Veränderungen sehen: es gibt weniger Leben im Wasser, mehr Verschmutzung, mehr Plastik. Die Meere sind am Sterben“, beschreibt er seine Ernüchterung beim Segeln. Und Marjo ergänzt: „Wir Menschen begehen Selbstmord. Ganz einfach.“

Weil das Paar nicht mehr tatenlos zusehen wollte, beschlossen sie selber aktiv zu werden. „Ich habe schon vor Jahren begonnen meinen Lebenstil zu ändern, bin kein Auto mehr gefahren und habe mich bewusster ernährt, praktisch ganz auf Fisch- und Fleischprodukte verzichtet“, erzählt Marjo von ihrer eigenen Entwicklung, „mir ist klar geworden, dass die Menschheit eine Veränderung braucht, um zu überleben.“ Vor allem aber beschloss sie ihr eigenes Leben zu ändern. Die Mutter einer Tochter lernte Bankkauffrau und begann Karriere zu machen. Als sie 2008 Edwin kennen lernt, arbeitet sie im „Human Ressource Management“. „Ich glaube, wenn man den Menschen die Möglichkeit geben würde, ihren jetzigen Job zu verlassen und trotzdem noch genug Geld zu bekommen, um zu überleben – 95% aller Leute würden das machen“, beschreibt sie ihr eigenes Unwohlsein mit dem System, „viele Leute sprechen über das Leben, als sollte man zuerst arbeiten, um dann zu genießen. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist.“

Es ist auf einer Zugfahrt von Amsterdam nach Hause, als sie auf Edwin trifft. Mit seinen Cowboystiefeln und der Öljacke stellt er das komplette Gegenteil zu ihrem jetzigen Leben dar. Die beiden verlieben sich und beschließen zusammen weiterzumachen. Edwin ist zu diesem Zeitpunkt Pilot, Tauchinspektor und Aktivist bei den Sea Shepheards einer Aktionsorientierten Gruppe, die sich für die Rettung bedrohter Meeressäugetiere einsetzt – und nicht dafür zurück schreckt ihr eigenes Leben einzusetzen, um Walfänger vom Jagen abzuhalten.

Es ist ein ziemlich ungleiches Paar also, dass einige Jahre später beschließt gemeinsam etwas neues auszuprobieren. Edwin ist sein Leben lang durch die Welt gereist, während seine erste Frau zu Hause blieb. Er hat Privatflugzeuge durch Zentralafrika geflogen und gegen japanische Walfänger in der Arktis gekämpft, während Marjo in den Niederlanden Karriere machte und in einem Reihenhaus mit Gemeinschaftsgarten wohnte. Die Lösung ist dann ein Schritt ins Abenteuer: sie verkauft ihr Haus und sie ziehen aufs Segelboot, Ende der Reise unbekannt. „Aber uns war klar, dass wir nicht einfach nur zum Vergnügen segeln wollten“, erzählt Edwin von den Anfängen ihrer Planung, „wir wollten etwas zurückgeben.“ Und die Meere, davon sind beide überzeugt, brauchen dringend mehr Aufmerksamkeit. Inspiriert von Organisationen wie Oceans Watch, rufen sie 2013 ihr eigenes Projekt ins Leben. „Die Meere, das ist vielen nicht klar, sind die eigentliche Lunge dieser Erde“, klärt Marjo auf, „und sie sind ein äußerst empfindliches Öko-System. Die Überfischung der Meere und die enorme Verschmutzung sind dabei es endgültig zu zerstören. Wenn es so weiter geht, sind in ein paar Jahrzehnten die Meere tot – und damit sind auch wir erledigt. So einfach ist das.“

Also segeln sie los. Ihr Schiff ist Wohnraum und Büro in einem. Von dem kleinen ausklappbaren Tisch aus bereiten sie Vorträge vor und vernetzen sich mit Organisationen. Ihr Plan: sie wollen von Küste zu Küste segeln und mit ihrem Boot lokale Projekte unterstützen. Aufklärung über den Schutz der Meere und konkrete Projekte zu nachhaltigem Leben am Wasser sollen dabei Hand in Hand gehen.

Ihre erste Anlaufstelle waren die Kanaren. „Eigentlich wollten wir nur ein paar Monate bleiben, unser Boot fit machen und dann nach Senegal weiterfahren, doch auf einmal haben sich hier neue Möglichkeiten aufgetan“, erzählt Marjo von ihrer Planänderung. Ein paar StudentInnen der Universität Las Palmas liefen durch den Hafen und entdeckten die Sea Sheapard Flagge, die wie eine Piratefahne am Mast flattert. Sie kamen ins Gespräch und kurze Zeit später begannen die beiden Segler Vorlesungen im Institut der Marinenbiologie über Umweltschutz und Aktivismus zu halten. „Viele von den StudentInnen haben noch nie fliegende Fische gesehen. Als wir dann mit einer Gruppe um die Insel gesegelt sind, war das für die meisten ein Aha-Erlebnis“, erzählt Marjo von der weiteren Zusammenarbeit.

Also bleiben die beiden ungeplant erst einmal in Las Palmas, engagieren sich im Protest lokaler Inititiativen gegen Ölbohrungen im ökologisch sensiblen Gebiet der Kanaren und bekommen schließlich die Chance ein größeres Projekt mit der bekannten Atlantic Ralley for Cruisers zu initiieren, die jedes Jahr von Las Palmas über den Ozean startet. Nach einigen Workshops für die SeglerInnen über die Umweltprobleme des Ozeans, werden 100 Teams mit Behältern für Wasserproben ausgestattet. Die Auswertung der Proben übernimmt die US-Amerikanische Organisation Adventurers and Scientists for Conservation. Ein Bericht im National Geographic beweist die Bedeutung des Projekts: die Meere sind verseucht mit winzigen Plastikpartikeln, die in einer extrem hohen Konzentration von Fischen und anderen Meerestieren aufgenommen werden – und so auch wieder zurück in unsere Nahrung gelangen.

„Das war ein erster großer Erfolg für uns“, sagt Edwin zufrieden, während er sich mit einer heißen Rum-Schokolade in der kleinen Schiffskabine zurücklehnt, „aber es hat uns auch gezeigt, dass es schwierig wird ohne Unterstützung weiterzumachen.“ Bisher haben die beiden ihre Projekte aus eigener Tasche bezahlt, aber weil die Arbeit für den Umweltschutz alle Zeit in Anspruch nimmt, wird es notwendig andere Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Der nächste Schritt wird deshalb sein, eine offizielle NGO zu gründen, um dann um Spendengelder werben zu können.

„Wir glauben an dieses Projekt. Es ist unheimlich wichtig auf die Probleme der Meere aufmerksam zu machen“, verabschiedet uns Orio mit einem eindringlichen Appell, „jedeR sollte anfangen etwas zu ändern, wir bemühen uns das zu tun – im Rahmen unserer Möglichkeiten.“

 

Mehr Informationen zu den Ocean Conservatists gibt es auf ihrer Website

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