Die versteckte Universität – Iran

Die Bahai sind im Iran verboten, höhere öffentliche Bildung bleibt ihnen deshalb vorenthalten. Um trotzdem lernen zu können, gründen sie ihre eigene Universität – im Untergrund…

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Tariq ist sieben Jahre alt, als die ganze Klasse merkt, dass er anders ist. Die Lehrer versammeln alle Schüler der kleinen Grundschule im Westen Teherans, um gemeinsam das Morgengebet zu verrichten. Tariq, damals ein kleiner, schüchterner Junge, kann nicht so beten wie die anderen, möchte nicht mit ihnen beten. Also nimmt er all seinen Mut zusammen, geht zu seinem Lehrer und bittet ihn, ihm die Gebetspflicht zu erlassen. Der Grund: Tariq ist kein Moslem. Doch nicht genug, er ist auch kein Christ oder Jude. Tariqs Familie gehört der kleinen religiösen Minderheit der Bahai an, die im Iran nicht als Religion anerkannt wird. Der Lehrer zeigt zwar Verständnis und entlässt ihn in die Pause, seine Mitschüler aber meiden ihn nun. Denn mit Bahai spielt man nicht, sie sind najest, unrein.

Fast zwanzig Jahre später ist aus dem schüchternen Jungen ist ein ruhiger, nachdenklicher Mann geworden. Ich treffe Tariq und seinen Freund Mehdi in einem der hippen Cafés in der Nähe der Teheraner Universität. Aus den Lautsprechern klingt Keith Jarretts „The Köln Concert“, die Luft ist erfüllt von Kaffeegeruch und Zigarettenrauch. Im Vorbeigehen grüßt Tariq ein paar Bekannte, die an einem kleinen Tisch miteinander diskutieren. „Damals habe ich zum ersten Mal verstanden, was es bedeutet anders zu sein“, erzählt der 24-Jährige von seiner Kindheit, während er sich eine Zigarette anzündet.

Die Bahai sind eine kleine religiöse Gruppe, die sich im 19. Jahrhundert vom Islam abgespalten hat. Aus einer Reformbewegung des schiitischen Islams hatte sich innerhalb weniger Jahre eine eigene religiöse Strömung entwickelt, die sich auf die Lehren ihres Propheten den Bab beruft. Wesentliche Unterschiede waren die Gleichstellung der Geschlechter, die Anerkennung anderer Religionen und der strikte Fokus auf gutes Handeln. Schon vor der islamischen Revolution, die die schiitischen Religionsführer an die Macht gebracht hatte, kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen Bahai-Familien. Mit der Errichtung eines Staates mit islamischer Grundlage jedoch wurde die Repression offiziell.

 

„Meine Mutter wurde damals wegen ihrer Religionszugehörigkeit aus dem Beamtendienst entlassen, Restaurants, die Bahai gehörten, mussten schließen, weil sie als unrein galten“, fasst Tariq die Entwicklungen zusammen, „und den Jugendlichen wurde der Zugang zur Universität versperrt.“ Denn auch Tariq, obwohl er sich nicht als gläubig bezeichnet, kann sich nicht an einer staatlichen Uni einschreiben. Der iranische Staat verlangt nämlich bei der Einschreibung die Angabe der Religionszugehörigkeit. „Ich hätte natürlich angeben können, ich sei Moslem, aber das wäre mir wie ein Verrat an den anderen Bahai vorgekommen, für die Religion mehr bedeutet und die das nicht machen dürfen“, rechtfertigt er seine Entscheidung. Eine der wichtigsten Regeln für gläubige Bahai ist nämlich, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen.

Um jungen Menschen wie Tariq und Mehdi trotzdem an höherer Bildung teilhaben zu lassen, beschließen in den 90ern einige VertreterInnen der iranischen Bahai-Community eine eigene Universität zu gründen. In einem privaten Gebäude eröffnen sie 1985 die erste Bahai-Universität der Welt.

Mit einem Machtwechsel an der Spitze der islamischen Republik 1997 entspannt sich dann auch die Lage für die Bahai etwas. Der neue Präsident Khatami gilt als Reformer und lockert den Druck auf die religiöse Minderheit. Muslimische und christliche Professoren unterstützen das Bahai-Projekt und lehren als Freiwillige an der kleinen Hochschule. „Am Anfang wurde dort nur Maschinenbau angeboten, aber mittlerweile umfasst das Lehrangebot 20 Fächer“, beschreibt Tariq die beeindruckende Entwicklung. Er und Mehdi haben sich für Architektur eingeschrieben, „obwohl ich eigentlich gerne Film studieren würde“, ergänzt er.

Noch bevor die beiden jedoch anfangen können zu studieren, kommt es erneut zu einem Umschwung der staatlichen Politik. 2005 wird der religiöse Hardliner Ahmadinejad an die Macht gewählt. Ihm missfällt das öffentliche Auftreten der mutiger gewordenen Bahai und um „Missionierungen“ entgegen zu wirken, geht er hart gegen die immer weiter schrumpfende Minderheit vor. Religiöse Versammlungen, selbst im kleinen Stil werden verboten, Religionsunterricht wird mit harten Strafen belegt und auch das Universitätsgebäude muss schließen. Hunderte Bahai werden eingesperrt, aus nichtigen Gründen.

„Ich habe mir niemals ausgesucht Bahai zu sein“, erklärt Tariq, „ich käme nicht einmal auf die Idee mich selber als Bahai zu bezeichnen. Der iranische Staat aber zwingt uns in diese Rolle hinein.“ In den iranischen Geschichtsbüchern werden die Bahai oft als VerräterInnen dargestellt, manchmal sogar als Spione. Grund dafür ist vermutlich auch der Ort, an dem der Begründer der Religion begraben liegt: Haifa, Israel.

Weil der Druck immens ist, der auf den Bahai liegt, ist ein Großteil der Religionsgemeinschaft bereits ausgewandert. Viele Bahai leben in Indien oder Nordafrika. Selbst in der Nähe von Frankfurt findet sich ein Bahai Tempel. Von den 500 000 in den 70ern im Iran lebenden Bahai ist heute nur noch ein Fünftel geblieben – und auch Tariq denkt darüber nach auszuwandern.

Seit einigen Jahren lernt er bereits Deutsch an einem privaten Sprachinstitut, um eines Tages in Deutschland weiterstudieren zu können, „aber der iranische Staat erkennt unseren Abschluss nicht an – und damit haben wir nichts in der Hand, um uns in Deutschland auf einen Studienplatz bewerben zu können.“

Wie es also weitergehen soll, weiß er nicht. Erst einmal möchte er sein Architekturstudium beenden. Bis der iranische Staat wieder ein Universitätsgebäude zulässt, finden die Kurse in den Privathäusern der Professoren statt. Tariq schmunzelt ein wenig, dann sagt er: „Von außen betrachtet, wirkt unsere Situation bestimmt ziemlich schräg, aber für uns ist es das normale Leben, wir sind so aufgewachsen. Und es hat auch etwas Gutes“, fügt er noch hinzu, „wir haben eine ziemlich gute Kursgemeinschaft. So etwas schweißt eben zusammen.“

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