Sichtbar werden

Erschienen im Tagesspiegel 2015

Während Albanien seinen EU-Beitritt plant, werden Homosexuelle noch immer diskriminiert. Eine kleine Szene kämpft jedoch mit einigen Erfolgen für einen Wandel.

gay ride

Gay-Ride in Tirana (c) Aleanca Kunder Diskriminimit te LGBT

Als Elidjons Vater seinen Sohn im Fernsehen sieht, rastet er aus. Er schreit und beschimpft ihn, dann schweigt er. Drei Jahre lang sprechen sie kein Wort, obwohl sie weiterhin im selben Haus wohnen. Der Grund dafür: In einer französischen TV-Dokumentation hat Elidjon Ghembi sich öffentlich als schwul geoutet. In Albanien, wo Homosexualität erst Anfang der 90er Jahre von der Liste der geistigen Krankheiten genommen wurde, ist das eine Provokation. Ghembi ist einer der ersten, die das Schweigen brechen. Zusammen mit Freunden hat er wenige Jahre vor seinem Fernsehauftritt die erste Organisation gegründet, die sich öffentlich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transexuellen (LGBT) einsetzt – auch das erzählt er im Fernsehen.

Elidjon, 26 Jahre alt, Vollbart und Brille, hat lange für diesen Schritt gebraucht. Er wächst in einer Gesellschaft auf, in der die Wirtschaft nach Zusammenbruch des Kommunismus am Boden liegt und die Menschen das Vertrauen in den Staat verloren haben. Familiäre Strukturen bestimmen stattdessen das gesellschaftliche Leben, nichts ist wichtiger als die öffentliche Wahrnehmung. Homosexualität wird tot geschwiegen.
Als Elidjon als Jugendlicher merkt, dass er Jungen liebt, kennt er deswegen niemanden, der so ist, wie er. Seine ersten sexuellen Erfahrungen macht er mit seinem besten Freund.
Als er zum Studieren in die Hauptstadt zieht, ahnt er, dass es noch mehr Menschen wie ihn geben muss. Doch selbst in Tirana gibt es keine schwulen oder lesbischen Clubs, keine Bars, keine Orte an der sich LGBTs treffen könnten. Immerhin werden hier Verabredungen in Chatrooms getroffen und finden dann unter höchster Geheimhaltung statt. Und mit dem Aufkommen von Facebook entwickeln sich langsam neue Möglichkeiten. In der geschlossenen Gruppe „LGBTs in Tirana“ trifft Ghembi auf Gleichgesinnte. Es ist eines der Gruppen-Mitglieder, eine junge Frau, die schließlich der Gruppe vorschlägt, sich in der realen Welt zu treffen.

Viele der Gruppenmitglieder haben am Anfang Respekt vor einem realen Treffen. „In den meisten Teilen Tiranas kann es zu Angriffen kommen, wenn zum Beispiel meine Kleidung mich als schwulen Mann outet“, erklärt Ghembi die Furcht vor der Öffentlichkeit. Zu den ersten Treffen kommen daher nur eine Handvoll Menschen. Zunächst im Verborgenen beginnen sie vorsichtig Botschaften in der Öffentlichkeit zu streuen. Zum Welt-Aids-Tag kleben sie Plakate zum Thema Homosexualität und Homophobie, in einer nächtlichen Aktion bemalen sie alle Bänke eines zentralen Parks mit Regenbogenfarben. Als die kleine Gruppe anfängt, erste exklusive Parties für LGBTs zu veranstalten, tauchen plötzlich neue Gesichter mit ähnlichen Geschichten auf.

Für Albanien beginnen in dieser Zeit die Verhandlungen zum EU-Beitritt. Die Einhaltungen der Menschenrechte ist eines der drängenden Themen. Ein Glücksfall für die noch winzige LGBT-Bewegung: Unterstützt von anderen Organisationen, beschließt ein harter Kern von knapp zehn Leuten, eine Nichtregierungsorganisation zu gründen. Während die Medien das Thema „Homosexualität“ langsam für sich entdecken, wird 2009 die „Aleanca Kunder Diskriminimit te LGBT“ offiziell eingetragen. Der Druck ausländischer Botschaften zwingt auch die Regierung zu positiven Reaktionen. Mit einem Mal wird die Aleanca finanziell gefördert und organisiert öffentliche Auftritte. 2011 eröffnen sie ein kleines Zentrum. Zum ersten Mal bekommen LGBTs damit einen geschützten Raum, in dem sie ihre sexuelle Identität nicht verstecken müssen.

Familie Ghembi weiß bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem Doppelleben ihres ältesten Sohnes. Elidjon hat gerade ein zweites Studium an einer Schauspielschule angefangen, als ein französischer Journalist eine Dokumentation über die Aleanca dreht. Es ist der albanische Dolmetscher, der heimlich eine Kopie davon anfertigt und an einen großen albanischen TV-Sender verkauft. „In der albanischen Gesellschaft steht das öffentliche Ansehen an erster Stelle und als Bekannte meinen Eltern von dieser Dokumentation erzählten, brach für sie eine Welt zusammen.“
Bis heute verzeiht Elidjons Familie ihm nicht, dass er schwul ist. Doch zumindest in anderen gesellschaftlichen Bereichen sind erste Erfolge sichtbar: Das kleine Zentrum hat sich zu einem lebendigen Treffpunkt für die mutiger werdende Szene entwickelt, in den nächsten Monaten soll der erste Schwulenclub des Landes eröffnen. Doch Ghembi winkt ab: „Albanien ist noch lange kein LGBT-freundliches Land“, sagt er und lächelt müde. Immer wieder komme es noch zu gewaltsamen homo- und transphoben Übergriffen, außerhalb der Szeneviertel Tiranas sei die Situation unverändert. „Wir sind noch lange nicht in Europa angekommen“, meint er, und fügt dann nicht ohne Stolz hinzu: „Auch, wenn wir bereits einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben.“

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